Im Rahmen des KlarText - Preis für Wissenschaftskommunikation 2023 der Klaus Tschira Stiftung habe ich meine Doktorarbeit als populärwissenschaftlichen Artikel verfasst. Mein Artikel wurde leider nicht als Finalist ausgewählt, ich teile ihn aber trotzdem gerne hier auf meiner Webseite:
Fire together, wire together - das plastische Gehirn im Computer
Eine schnelle Reaktion zu einem unerwarteten Stimulus ist für das Überleben enorm wichtig. Dies muss unser Gehirn erlernen - vermutlich durch synaptische Plastizität. Computersimulationen zeigen, wie auf der Basis von Plastizität Stimuli repräsentiert, erlernt und unterschieden werden können.
Stellen wir uns einmal folgende Situation vor: Wir befinden uns in der Savanne, die Sonne steht hoch, trockenes Gras, soweit das Auge reicht. Schon seit Stunden sehen wir das gleiche, öde Bild. Gelangweilt und erschöpft drehen wir unseren Kopf und sehen plötzlich einen Löwen. In nur einem Augenblick kann unser Gehirn einen erwarteten Stimulus, in diesem Beispiel das Gras der Savanne, von einem unerwarteten Stimulus, dem Löwen, unterscheiden. Die schnelle Unterscheidung zwischen Stimuli, die für das Überleben relevant oder irrelevant sind, ist für Mensch und Tier unentbehrlich. Doch wie schafft es das Gehirn, einen erwarteten von einem unerwarteten Stimulus zu unterscheiden? Welche Mechanismen stecken dahinter? Bevor wir uns diesen Fragen widmen können, müssen wir uns aber zunächst überlegen, wie das Gehirn denn generell Stimuli, wie zum Beispiel das Bild eines Löwen, repräsentiert und wie solche Repräsentationen erlernt werden können.
Das menschliche Gehirn besteht aus ca. 100 Milliarden Neuronen, die mittels elektrischer Signale über rund 100 Billionen Verbindungen zwischen diesen Neuronen, den sogenannten Synapsen, miteinander kommunizieren. Synaptische Plastizität, also die Veränderung der Stärke von synaptischen Verbindungen, wird als Basis von Lernen und Formen von Erinnerung vermutet. Je stärker die Synapse, umso effizienter kann das über die Synapse verbundene Neuron angeregt werden. Die Frage, die sich hier in weiterer Folge stellt, ist: auf welchen Regeln basiert diese synaptische Plastizität? Experimentelle Forschung der letzten Jahrzehnte konnte dahingehend einige neue Erkenntnisse hervorbringen. Vieles deutet darauf hin, dass eine Synapse vor allem von der Aktivität der beiden Neuronen, welche sie verbindet, abhängt. Von Donald Hebb in den 1940er-Jahren vorhergesagt, und später experimentell bestätigt, gilt: “Neurons that fire together, wire together”, oder übersetzt: "Neuronen, die gleichzeitig feuern, verbinden sich miteinander”.
Das klingt nun alles sehr abstrakt - wie genau erlaubt uns diese "Hebbsche" Regel für synaptische Plastizität etwas zu erlernen? Diese Frage ist mit experimentellen Methoden enorm schwer zu beantworten, denn dafür fehlen uns (noch) die geeigneten Messinstrumente. Womit wir uns nun in meinen Forschungsbereich begeben: der theoretischen oder computergestützten Neurowissenschaft. Das bedeutet, dass wir Mathematik und Computersimulationen verwenden, um dem Gehirn seine Geheimnisse zu entlocken. Zum Beispiel kann man in Computermodellen zeigen, dass die oben beschriebene Hebb’sche Plastizitätsregel zu stark miteinander verbundenen Gruppen von Neuronen führen kann. Es wird vermutet, dass eine solche Gruppe von stark verbundenen Neuronen die Basis neuronaler Repräsentation bildet. Oder anders ausgedrückt: eine Neuronengruppe repräsentiert einen bestimmten sensorischen Input, wie das Bild eines Löwen in unserem Beispiel. Doch diese Hebbsche Plastizität hat in Computermodellen ein grundlegendes Problem: sie führt zu extrem hohen und instabilen neuronalen Aktivitätsmustern, ähnlich einem epileptischen Anfall beim Menschen. Dies zeigt ganz klar, dass ein wichtiger, stabilisierender Mechanismus in den Modellen fehlt.
Hier kommt nun meine Forschungsarbeit ins Spiel, die um die Frage kreist, wie Plastizität zwischen Neuronen kontrolliert und stabilisiert werden kann. Dafür müssen wir noch einen weiteren wichtigen Aspekt des Gehirns berücksichtigen, nämlich dass man grob zwischen zwei Arten von Neuronen unterscheidet - dem anregenden Neuron und dessen ‘Gegenspieler’, dem inhibierenden Neuron. Die weitaus weniger erforschten inhibitorischen Neuronen wirken inaktivierend auf andere Neuronen. Meine Hypothese ist, dass sich die inhibitorischen Neuronen und insbesondere die Plastizität der Synapsen ideal für die Kontrolle und Stabilisation der anregenden Neuronen eignen. Um dies nachzuweisen, habe ich Computermodelle erarbeitet, in denen ich beide Neuronentypen, also anregende und inhibierende Neuronen, mit plastischen Synapsen simulieren kann. Und tatsächlich - unter bestimmten Umständen ist die Plastizität der inhibitorischen Neuronen ein idealer Kontrollmechanismus, um instabile neuronale Aktivität zu vermeiden. Dies funktioniert so: Hohe Aktivität in anregenden Neuronen führt zu einer Verstärkung von inhibitorischen Synapsen, was wiederum zu einer Verringerung der Aktivität in anregenden Neuronen und in weiterer Folge zu einer Stabilisierung führt. Da Hebbsche Plastizität immer von der neuronalen Aktivität abhängig ist, kann sie durch Inhibition kontrolliert werden.
Doch inwiefern hat das etwas mit dem Löwen und dem Savannengras zu tun? Im zweiten Teil meiner Dissertation habe ich mich mehr mit weiteren Anwendungsmöglichkeiten der Plastizität von inhibierenden Neuronen beschäftigt. Diese Arbeit ist inspiriert von Experimenten, die unsere Kolleg*innen an der Princeton University durchgeführt haben. Zeigt man einer Maus ein Bild, so sind Neuronen im visuellen Bereich des Gehirns aktiv - so weit, so klar. Interessant wird es, wenn man der Maus zwei verschiedene Arten von Bildern zeigt: einerseits Bilder, die oft wiederholt werden und so für die Maus erwartbar sind, und andererseits Bilder, die die Maus noch niemals gesehen hat und die daher für sie unerwartet sind. Dies ist ähnlich wie im oben beschriebenen Beispiel mit Savannengras (erwarteter visueller Stimulus) und dem Löwen (unerwarteter visueller Stimulus). Messungen zeigen, dass ein erwartbarer Stimulus zu sehr niedrigen Aktivitäten der Neuronen im visuellen Bereich des Gehirns führt, während ein unerwarteter Stimulus hohe Aktivitäten aufweist. Man vermutet, dass hohe neuronale Aktivität hier eine Art “Achtung, wichtig!”-Signal darstellt, welches vom visuellen Bereich in andere Gehirnareale weitergeleitet wird. Welche Mechanismen jedoch hinter den unterschiedlichen neuronalen Aktivitäten von erwartetem und unerwartetem Stimulus stecken, war bisher ein Rätsel. Um dies zu verstehen, habe ich gemeinsam mit meiner Co-Autorin ein Computermodell vom visuellen Bereich des Gehirns entwickelt. Mit unserem Modell führten wir die gleichen Tests wie in den Maus-Experimenten unserer Kolleg*innen durch und sahen sehr ähnliche Resultate: ein unerwarteter Stimulus führt zu wesentlich höherer neuronaler Aktivität als ein erwarteter Stimulus. Der Vorteil von Computermodellen ist nun, dass wir genau nachvollziehen können, was dahinter steckt. Unser Modell stellt die Vermutung auf, dass auch hier die Plastizität der bereits erwähnten inhibitorischen Synapsen dafür verantwortlich ist. Denn auch hier gilt: zeigt man dem Modell einen Stimulus nur einmal, so führt dies zu hoher Aktivität; zeigt man jedoch einen Stimulus öfter, und macht ihn somit zu einem erwarteten Stimulus, so verursacht dies eine Verstärkung der inhibitorischen Synapsen und führt daher zu geringerer neuronaler Aktivität.
Zukünftige experimentelle Studien werden zeigen, ob sich die Ergebnisse unserer Modelle bewahrheiten werden. Unsere Erkenntnisse zeigen jedoch klar: inhibitorische Neuronen sind ein wichtiger Baustein, um die Funktionsweise unseres Gehirns zu verstehen. Dieses Grundlagenverständnis ist enorm wichtig, um beispielsweise Ursachen von neurologischen Krankheiten zu entschlüsseln. Die Möglichkeit, epileptische neuronale Aktivität in den Computersimulationen zu stoppen, könnte ein Indiz dafür sein, wie man epileptische Anfälle beim Menschen besser behandeln kann. Weiters weisen Patient*innen, die an Schizophrenie leiden, ein besonderes Merkmal auf: Zeigt man ihnen Bilder, die entweder erwartet oder unerwartet sind, verhält sich die neuronale Aktivität signifikant anders als bei Menschen ohne schizophrene Störungen. Unsere und die experimentelle und theoretische Arbeit von Kolleg*innen lässt vermuten, dass fehlerhafte inhibitorische Neuronen beteiligt sind. Jedoch wird noch viel weitere interdisziplinäre Forschung notwendig sein, um die Funktionsweise dieser und andere neurologische Krankheiten zu entschlüsseln.
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